Die Eule im Morgengrauen

 

Die Eule im Morgengrauen

 

Ein Mann lebte am Rande eines Waldes. Er war klug, fleißig, beliebt im Dorf – doch in seinem Innersten war er unruhig. Er hatte das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Etwas Wichtiges.

Manchmal wachte er nachts auf, das Herz klopfte ohne Grund, und er wusste nicht: War es ein Traum? Oder war es eine Wahrheit, die anklopfte?

Eines Morgens, noch vor Sonnenaufgang, beschloss er, in den Wald zu gehen.
„Vielleicht finde ich dort eine Antwort“, murmelte er und ließ den gewohnten Pfad hinter sich.

Er ging tiefer hinein, als er je zuvor gegangen war. Die Bäume standen dicht, der Boden war weich vom Tau, und nur das Zwitschern der frühen Vögel begleitete ihn.

Plötzlich hörte er ein Rascheln über sich. Als er den Kopf hob, sah er sie:​ Eine große, grauweiße Eule saß auf einem Ast. Sie sah ihn direkt an. Wach. Klar. Bewegungslos.

Er blieb stehen. Die Eule blinzelte nicht. Sie starrte ihn an, als würde sie durch ihn hindurchsehen.
Nach einer Weile flüsterte der Mann: „Weißt du etwas, das ich nicht weiß?“

Die Eule drehte leicht den Kopf. Und obwohl sie schwieg, schien ihre Präsenz eine Antwort zu sein.

Du weißt es längst, schien sie zu sagen. Du willst es nur nicht wissen.

Etwas in ihm wurde still. Ganz still. Kein Gedanke, kein Drängen, kein Grübeln mehr – nur ein inneres Erkennen.
Da war sie: die Wahrheit, die er so lange weggeschoben hatte. Sie saß nicht in Worten. Sie war einfach da. Glasklar. Wie die Augen der Eule.

Er verneigte sich leicht – nicht vor dem Tier, sondern vor der Erkenntnis. Dann drehte er um und ging nach Hause.
Er hatte keine Antwort im klassischen Sinn gefunden.
Aber der Knoten in ihm war geplatzt.

 


 

Fazit / Moral:

Manchmal braucht es keinen Lärm, kein Drama, keinen großen Knall.
Nur einen stillen Moment.
Einen Blick, eine Präsenz, ein Aufhören mit dem Suchen.
Denn was wir wissen müssen, ist oft längst in uns da –
unscheinbar, leise, aber unüberhörbar, wenn wir endlich hinschauen.

 


 

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