Unterwassermann und Unterewasserfrau mit Fischen
Der kleine Wassermann

Es war einmal ein kleiner Wassermann

Der lebte glücklich und zufrieden in seinem Wasserparadies. Angenehm warm war das Wasser, nie zu kalt oder zu warm.
Leicht und ohne die geringste Anstrengung schwamm er darin herum. Er musste nie irgendwo hinaufsteigen und konnte nie irgendwo herunterfallen.
Das Wasser streichelte seine rosige Haut am ganzen Körper und wo das Wasser endete war eine weiche, moosige Wand an der er seinen Rücken stützen konnte.
Wo oben und unten war wusste der kleine Wassermann nicht. Wir sagen über uns ist der blaue Himmel und er dachte: Um mich herum glüht der Himmel so rot und rundherum glitzert das Wasser – Blut-Blut-Blut.
Der kleine Wassermann wusste auch nichts von Zeit noch von Tag und Nacht, denn weder musste er abends ins Bett, noch morgens frühstücken. Wenn er müde war machte er einfach die Augen zu und schlief eine Weile in seinem Wasserbett, aus dem er nicht herausfallen konnte und das zugleich sein Spielplatz war.
Hunger und Durst kannte er nicht, denn sein Körperchen füllte sich mit Nahrung ganz von allein. Manchmal allerdings bewegte er die Lippen. Dann ahnte er, dass es irgendwo in der Welt so etwas wie Geschmack geben müsste.
Große Ohren hatte der Wassermann und er hörte das Wasser glucksen und rauschen und hörte das sanfte Klopfen einer immerwährenden Trommel: bum- bum – bum.
Und manchmal hörte er noch mehr. Da hörte er durch sein Wasserbett, durch seine moosige Wand eine Stimme, die ihm ein Lied sang – ein Kinderlied.
Wenn er diese Stimme hörte, konnte der kleine Wassermann besonders gut träumen. Die Welt war ein freundlicher Ort und – natürlich – träumen konnte er auch – nicht so wie wir träumen – von Gegenständen und Worten – sondern von Musik und Farben, Kommen und Gehen, Schwimmen und Ruhen, Hellsein und Dunkelwerden, leise sein und lauter werden. Von Wärme und Kühle, und dann hörte er wieder eine Stimme
viel dunkler als die Stimme die ihm was vorsang. Und diese Stimme erzählte von Fußballspielen auf grünen Wiesen und anderen Dingen unter denen sich der kleine Wassermann gar nichts vorstellen konnte.
Und allmählich lernte der kleine Wassermann diese beiden Stimmen kennen und ahnte ihre Bedeutung.
Anfangs sah der kleine Wassermann wie ein kleiner Wassermann aus. Er hatte einen großen Kopf mit Froschaugen und einen krummen Rücken der einem Schwanz ähnelte. Er hat kleine Hände und Füße mit Schwimmhäuten zwischen Zehen und Fingern. Das erstaunliche war, dass er niemals gleich blieb, dass er keinen Tag wie den anderen ließ. Er wuchs und wuchs und veränderte sich und sein Wasserparadies wurde immer enger.
Immer wenn er die beiden Stimmen hörte hüpfte er vor Freude um sich verständlich zu machen. Auch er wollte singen und reden. Aber seine eigene Stimme hatte der kleine Wassermann noch nicht.
Zu irgendeiner Zeit, als er schon lange in seinem Paradies gelebt hatte und seine Neugier immer größer wurde, mehr als die roten Himmelsblumen zu sehen, mehr als nur dumpfe Melodien zu hören, mehr als nur seine Wärme schleppen, da träumt er, dass jemand zu ihm sagte: „Wenn du willst, kannst du jetzt nach draußen“, sagte der Traum.
„Werde ich dann eine Stimme haben“, fragte der kleine Wassermann?
„Ja“, sagte der Traum, „aber du wirst auch Schmerzen haben.“
„Was ist das, Schmerzen“, fragte der kleine Wassermann?
„Das ist schwer zu beschreiben“, sagte der Traum.
„Die Welt ist nicht immer ein freundlicher Ort.“
„Warum sollte ich dann raus wollen“, fragte der kleine Wassermann?
„Du wirst dann eine eigene Stimme haben und bist dann nicht mehr allein.“
„Gibt es da noch jemanden außer mir“, fragte der kleine Wassermann aufs höchste erstaunt?
„Da draußen ist die Welt voller Menschen“, sagte der Traum.

Die Neugier des kleinen Wassermanns wuchs und wuchs

„Wie soll ich hier denn rauskommen“, fragte der kleine Wassermann nach einer Weile?
Und der Traum antwortete: „Wenn du wirklich willst dann drängle dich einfach durch. Alle werden dir helfen und dich schieben.“
Es dauerte noch eine Weile bis der kleine Wassermann sich entschlossen hatte die Welt außerhalb des Wassers kennenlernen zu wollen. Aber dann fing er plötzlich an zu drängeln und zu drücken und zugleich spürte er, dass er von allen Seiten gedrückt und geschoben wurde, es wurde immer enger und enger.
Das wird der Schmerz sein dachte der kleine Wassermann, und ein nie gekanntes Gefühl überkam ihn: die Angst.
Ich will hier raus, ich will hier raus dachte der kleine Wassermann.
Ich will meine eigene Stimme hören.
Und auf einmal – war sie da, die eigene Stimme, der eigene Atem. Aber noch viel mehr war da: Grelles Licht, laute Geräusche, eisige Kälte, bleierne Schwere legte sich auf seinen kleinen Körper. Raue Tücher rubbelten an seiner nur an Wasser gewöhnten Haut. Einen Moment lang dachte der kleine Wassermann er müsste sterben.
Es gab gar nichts was er kannte und angenehm gewesen wäre. Er litt große Schmerzen und weinte bitterlich.
Doch auf einmal wurde er auf etwas warmes, weiches gelegt und er merkte – da war noch mehr was er kannte: Das Trommeln – viel leiser als in seinem Wasserbett aber klar und deutlich zu hören.
Und noch mehr war da: Die beiden Stimmen die er so liebte aber viel klarer, deutlicher und schöner als er sie je gehört hatte.
Und als der kleine Wassermann sich endlich traute auch seine Augen zu öffnen, sah er Dinge die er sich nicht mal hätte erträumen können.

(Autor: Unbekannt)

 

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