Ich bringe Dich um

Ein vierzehnjähriger Jugendlicher im District of Columbia (USA) war Gangmitglieder und hatte einen Mord verübt. Er hatte einen unschuldigen Teenager erschossen, um sich in seiner Gang zu beweisen.

Bei der Gerichtsverhandlung saß die Mutter des Opfers ganz still da, bis das Urteil verkündet worden war. Dann stand sie auf, fixierte den wegen Mordes Verurteilten und sagte ruhig: ››Ich bringe dich um.«

Der Junge kam für mehrere Jahre in die Jugendstrafanstalt. Nach dem ersten Halbjahr ging die Mutter des ermordeten Kindes den Mörder besuchen. Er hatte vor seinem Gefängnisaufenthalt auf der Straße gelebt, und sie war die Einzige, die ihn besuchen kam. Sie unterhielten sich eine Weile und beim Verabschieden gab sie ihm etwas Geld für Zigaretten. Dann begann sie ihn in immer regelmäßigeren Abständen zu besuchen, brachte Essen und kleine Geschenke mit.

Gegen Ende seiner dreijährigen Haftstrafe fragte sie ihn, was er nach der Entlassung tun würde. Er wusste es nicht recht, also schlug sie vor, sie könne ihm in der Firma eines Bekannten eine Arbeit vermitteln. Schließlich fragte sie, wo er wohnen würde, und da er keine Familie hatte, in die er zurückkehren konnte, bot sie ihm an, er könne vorübergehend das freie Zimmer in ihrer Wohnung benutzen. Er wohnte acht Monate lang bei ihr, aß ihr Essen und arbeitete in der Firma.
Eines Abends bat sie ihn zu einem Gespräch ins Wohnzimmer. Sie setzte sich ihm gegenüber und wartete eine Weile, bis sie begann: ››Erinnerst du dich, wie ich im Gerichtssaal sagte, dass ich dich umbringen würde?«

››Klar«, antwortete er, ››ich werde diesen Moment nie vergessen.«

››Nun, ich habe Wort gehalten«, fuhr sie fort. ››Ich wollte nicht, dass der Junge, der meinen Sohn grundlos umgebracht hatte, am Leben blieb. Er sollte sterben. Deshalb habe ich dich besucht und dir Dinge mitgebracht. Deshalb habe ich dir eine Arbeit besorgt und dich hier in meinem Haus wohnen lassen. Das hat dich verändert. Und jetzt gibt es diesen alten Jungen nicht mehr. Da es nun meinen Sohn und seinen Mörder nicht mehr gibt, möchte ich dich fragen, ob du hier bleiben möchtest. Es gibt hier genügend Platz, und sofern du einverstanden bist, würde ich dich adoptieren. «

Sie wurde für den Mörder ihres Sohns zu jener Mutter, die er nie gehabt hatte.

(Aus: Jack Kornfield: Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen. Goldmann 2010)

 

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